Exklusiv-Interview

„Viele Unternehmen denken, sie könnten die Uhr zurückdrehen“

Susanne Stock coacht Führungskräfte und begleitet Teamentwicklungsprozesse. Im Interview mit Generation Homeoffice erzählt sie, warum sie selbst nicht zu alten Strukturen zurückkehren wird und weshalb Unternehmen das auch nicht tun sollten.

 

GENERATION Homeoffice: Mit dem Boom des Homeoffice hat sich da ja einiges verändert – wie gehen die Unternehmen damit um?

Susanne Stock: Viele Unternehmen haben realisiert, dass sie ihren Führungskräften etwas zum Homeoffice anbieten müssen. Andere gingen noch weiter und machten sich Gedanken, wie man sich beispielsweise in Gruppen austauschen kann und was man voneinander lernen kann. Da wurden ganz unterschiedliche Formate angedacht, um Support zu geben. Zuerst dachten die Unternehmen aber, sie können die Uhr nach Corona zurückdrehen, nach dem Motto: das hat nur unter Coronabedingungen so gut im Homeoffice geklappt. Schon nach dem 1. Lockdown war die Meinung, dass der Spuk mit dem Homeoffice vorbeigeht. Dann stellte man fest, dass das jetzt erstmal so bleibt.

Wie hat sich das auf deine Arbeit ausgewirkt?

Ich habe die digitalen Formate bisher nur sporadisch eingesetzt. Inzwischen habe ich Führungskräfte gecoacht, die ich noch nie „im realen Leben“ gesehen habe, sondern nur per Video – das hätte ich mir früher nicht vorstellen können. Es geht, aber es braucht ein paar Rahmen. Um einen Raum für Intimität herzustellen, versuche ich auch in virtuellen Coachings dafür zu sorgen, dass sich beide Seiten wohlfühlen können.
Ich frage beispielsweise, ob die Leute etwas zu trinken haben, ob sie bequem sitzen, bitte sie während der Session nicht zu essen oder zu rauchen. Auch die Wahrnehmung spielt eine Rolle – ich versuche mein Gegenüber immer ‚ganz‘ anzusehen, nicht nur den Kopf.
Außerdem nehme ich mir mehr Zeit für die Anwärmung und lasse am Schluss noch eine Pause, damit das Ganze verarbeitet werden kann. Wenn ich weiß, dass das nächste Meeting meines Coachees direkt an meinem Termin liegt, machen wir zehn Minuten vorher Schluss.

Wie geht es Führungskräften mit der Situation?

Ich habe Kunden, deren Teams mussten vor Ort sein und die Führungskräfte haben zuhause gearbeitet. Das hat einige ziemlich belastet, weil sie meinten, dass sie ihre Leute tagtäglich in die Gefahr schicken, während sie selbst sicher im Homeoffice sitzen. Ich habe auch Führungskräfte, die mal weinen, weil sie das alles so mitnimmt. Die andere Facette ist, dass viele Führungskräfte sich Sorgen um ihre Leute machen, die der Situation überdrüssig sind. Es belastet alle, und das belastet auch die Vorgesetzten in ihren Führungsaufgaben.

Wie läuft die Mitarbeiterführung im Homeoffice?

Es ist zu beobachten, dass ‚schwierige‘ Mitarbeiter waren schon vor der Arbeit im Homeoffice schwierig waren. Viele sind aber auch zu neuen Leistungen aufgebrochen, weil sie durch Einzelarbeit mehr strahlen konnten. Es entstehen auch schöne Ideen, wie beispielsweise Mitarbeitergespräche beim - coronakonformen - Spaziergang.
Daher gibt es nicht einen Plan A, B oder C, sondern man muss Führung noch individuell gestalten. Das bedeutet für die Führungskraft auch, darauf zu achten, dass es ihr selbst gut geht und dass sie genug Abstand behält, sie sich selbst eben auch gut genug führen. Denn neben Zahlen und Daten sitzen trotzdem immer noch Menschen.

Studien belegen, dass im Homeoffice mehr gearbeitet wird. Wie sollten Chefs darauf reagieren, wie schont man seine Mitarbeiter?

Die Mehrarbeit war schon vor Homeoffice ein Thema. Daher muss man das sehr differenziert betrachten. Wo beginnt die Mehrarbeit? Als Führungskraft muss ich schauen, ob alle ‚on track‘ sind. Nur, weil jemand physisch präsent ist, heißt das nicht unbedingt, dass er viel arbeitet. Außerdem muss ich schauen, wie die Umstände sind. Ist da jemand, der jung ist, noch neu in der Firma und etwas erreichen will. Der hat dann richtig Lust sich reinzuknien, und würde das nicht als Überforderung beschreiben.

Hat sich insgesamt die Einstellung zur Heimarbeit verändert?

Ich finde es bedenklich, dass viele Unternehmen meinen, dass das Homeoffice nur wegen Corona geklappt hat und die Leute danach wieder ins Büro kommen. Aber auch viele Mitarbeiter wollen nicht ausschließlich zuhause arbeiten. Ein Teil hat dafür nicht die räumlichen Bedingungen oder ihnen fehlt die halbe Stunde Fahrt, um nach der Arbeit abzuschalten.

Es gibt natürlich gute Gründe zusammenzukommen. Denn im Homeoffice fehlt der Raum für zufällige Begegnungen. Das vermissen viele. Bei der vielen sitzenden Tätigkeit vorm Rechner rate ich meinen Teilnehmern schon mal, dass sie bei Präsentationen spazieren gehen, sofern sie selbst nichts zu präsentieren haben. Viele machen das dann fast entschuldigend. Hier ist es wichtig, als Führungskraft zu zeigen, dass das ok ist. Und wenn man das voller Inbrunst macht, ziehen die Leute auch mit. Gerade jetzt muss man ‚Out-of-the-Box‘ denken und als Führungskraft die individuellen Vorgehensweisen der Mitarbeiter erforschen und ausprobieren lassen.

Sind Chefs in so einer Situation mehr gefordert?

Man erkennt schon, dass es ein ziemlicher Spagat ist für die Leute. Da ist die Führungskraft der Schlüssel. Sie muss fragen, in welcher Art und Weise tut uns Zusammenkommen gut? Wenn man die Leute zusammenholt, geht es um Relevanz und Interaktivität. Reine Infos kann man auch per Mail austauschen.

Also muss man überlegen, wo man natürliche Verbindungen schaffen kann und was man transportieren will. Und auch das Team fragen, welches Tool eingesetzt werden soll. Ein tägliches virtuelles Kaffeetrinken finden die einen super, die anderen finden es nicht so toll. Deswegen rate ich: ‚Werden sie kreativ. Halten sie auch mal einen Zettel in die Kamera, anstatt nur zu sprechen. Machen sie mal etwas mutig anders.‘

Wie hältst du es mit dem Homeoffice?

Ich selbst habe Büroräume in Frankfurt seit ich mich 2004 selbständig gemacht habe. Meine Tätigkeit ist vor allem viel beim Kunden vor Ort, was gerade völlig ausfällt. Daher bin auch ich gefühlt im Homeoffice, auch wenn das bei mir im Büro ist. Dort habe ich auch sämtliche Unterlagen. Die virtuellen Sessions mache ich alle im Büro. Da kann ich mich mehr ausbreiten. Ich bin so ein Typ, der gerne reinfährt ins Büro. Und am Ende des Tages möchte ich die Türe zumachen.

Hat der Umbruch deine Art zu arbeiten verändert?

Auf jeden Fall. Ich habe daraus gelernt, dass ich nicht mehr für Kennenlerngespräche durch die Welt fahren werde, das macht keinen Sinn mehr. Zwar bewirkt 3D immer mehr als 2D. Aber auch in 2D ist sehr vieles möglich. Ich denke, ich werde maximal zu 50 Prozent zu dem zurückgehen, was ich vorher gemacht habe. Eine Überlegung ist, ein Führungskräfte-Seminar hybrid anzubieten: ein Teil virtuell und ein Teil präsent. Zudem kommen immer mehr Anfragen zu Moderation im virtuellen Raum.

Auch auf das Privatleben hat es sich ausgewirkt - mein Mann und ich waren noch nie so viel zusammen, weil bei uns beiden die Reisetätigkeit weggefallen ist. Andere hat das näher an die Scheidung gebracht, uns näher zueinander.

Wie wird es weitergehen?

Ich wünsche mir, dass die Führungskräfte jetzt fragen, was sinnstiftend ist für die Leute, dass die sie diesen Wandel als Chance verstehen. Ich erlebe das aber auch schon, dass mir die Menschen sagen, „was eine geile Chance, da habe ich lange drauf gewartet!“ Und das ist altersübergreifend.

 

Susanne Stock bei XING

MOVEO Beratung Training Coaching

 

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